VON WOLKEN UND ANDEREN LÜGEN

Malte Bartsch, Hannah Sophie Dunkelberg, Martin Groß, Sarah Lehnerer, Valeria Schneider, Felix Leon Westner

11. Juli – 31. August 2024
Eröffnung: Donnerstag, 11. Juli, 17 – 20 Uhr
Performance: Felix Leon Westner, Freitag, 30. August, 19 Uhr

"Dies wird schwer sein, weil niemand genau weiß, wer da eigentlich erzählt, ob ich es bin oder das, was gerade passiert ist, oder das, was ich gerade sehe".1

Und dennoch soll es nicht unversucht bleiben, das Erzählen. Der Erzähler, von dem wir nicht sicher sein können, wer es ist, und von dem auch der Erzähler selbst nicht sicher ist, wer er ist,2 (die Vermutung liegt nahe, dass es auch bei den Erzähler:innen weiter unten dann und wann so sein könnte)3, schaut am liebsten in die Wolken, bilden sie für ihn ein Bild, in dem sich sein Blick verlieren kann und so der Imagination freien Lauf gelassen wird. Doch ist er sich im Klaren darüber, dass das, was dieser Imagination entspringt, nicht zwangsläufig der Wahrheit entspricht. Was nicht bedeutet, dass es eine Lüge ist. Als Lüge wird vielmehr das „Jetzt“ bezeichnet, einfach deshalb, weil es immer gleich vorüber ist, ja vorüber zieht wie die Wolke am Himmel. Das Sehen dieses „Jetzt“ nennt der Erzähler auch Verlogenheit, weil es uns – vermeintlich – am weitesten von uns selbst entfernt. Vermutlich deshalb die Unerklärlichkeit, wer erzählt – oder sieht. Aber nicht falsch verstehen: die „irrealen Fabrikationen“ müssen gar nicht schlecht sein, ganz im Gegensatz zur Lüge.

Eins zumindest ist also klar: es geht hier ganz und gar nicht darum, die Realität so abzubilden, wie sie ist, wie sie sich darbietet, rein äußerlich (so wie das „kostbare Feuerwerk“).4

Es geht eher um die Verselbständigung des Denkens, das sich entfaltet, wenn das Sehen sich an etwas aufhängt. Als wäre da ein Faden... Dann bleibt nichts anderes übrig als zu „beobachten und zu warten, beobachten und ...“ (PENDING)5 Dieser Diskurs erinnert mich – plötzlich – an Becketts „Warten auf Godot“, in dem Estragon an einer Stelle des endlosen Wartens „Heitere Aussichten!“ ruft.

Es wäre allerdings falsch anzunehmen, dass dann irgendetwas passiert. Heiter sind die Aussichten nur in dem Sinne, als dass von aufziehenden Wolken keine Rede ist. Trotzdem wird auch bei Beckett ständig in den Himmel gestarrt, der „blaß und leuchtend“ ist, (oder blau glänzend mit Auswüchsen wie im Traum – nicht nur bei Nacht)6, ein „Schleier süßen Friedens“.7

Doch deutet dieser Schleier – oder das Blau? – es vielleicht gerade an: auch hier liegt eine „Lüge“ in der Luft, ein Phantasiegebilde oder wer weiß schon was Godot eigentlich ist. Was ein ungutes Gefühl verleiht (not bad, aber auch nicht nice)8. Die Auflösung wäre Godots Erscheinen, wie im Teufelsgeifer die Erlösung – ja was eigentlich wäre? (Wer suchet, der findet sie womöglich in – oder zwischen – den unzähligen Augen).9

Diesen einen Moment, der – blöderweise – am seidenen Faden hängt,10 und, weil es sich nur um den Bruchteil einer Sekunde handelt, nicht wahrnehmbar und damit auch nicht zu beschreiben oder abzubilden ist? (Fragen Sie Sarah Lehnerer.)11 Und diesen dann auch noch derart zu vergrößern, to blow it up? (Schauen Sie auf Sarah Lehnerer.) Am Ende ist es bei Cortázar wie auch bei Beckett dasselbe wie am Anfang: „Wolken sehen“ oder „warten und nicht gehen“. Worauf warten wir? Gehen wir uns die Wolken ansehen.

„Jetzt zieht eine große weiße Wolke vorbei, wie an allen diesen Tagen, dieser unermeßlichen Zeit. Was zu sagen bleibt, ist immer eine Wolke“.12

Lisa Schütz

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1 Julio Cortázar: Teufelsgeifer, in: Südliche Autobahn, Frankfurt am Main 1998, S. 380. Die Erzählung diente Michelangelo Antonioni als Grundlage für seinen Film „Blow Up“ aus dem Jahr 1966.
2 Roberto Michel, Franzose chilenischer Abstammung, Übersetzer und in seiner Freizeit Amateurphotograph; es bleibt unklar, ob der Erzähler der ersten und dritten Person, die sich ständig abwechseln, dieselben sind.
3 Malte Bartsch, Hannah Sophie Dunkelberg, Martin Groß, Sarah Lehnerer, Valeria Schneider und Felix Leon Westner, Künstler:innen
4 Malte Bartsch, Machina di fuco artificiale, 2024, Aluminiumguss, 145 x 41 x 35,5 cm
5 Martin Groß, Pending, 2024, Oil Stick auf Papier, 196 x 160 cm
6 Hannah Sophie Dunkelberg, Lierre, en rêve, 2022, Polystyrol, Aluminiumrahmen, 101 x 151 cm
7 Samuel Beckett, Warten auf Godot, in: Stücke, Frankfurt am Main 1967, S. 167f.
8 Felix Leon Westner, I HAVE A BAD FEELING , 2024, Acryl und Sprühlack auf Leinwand, Aluminiumrahmen, 52 x 52 cm 9 Valeria Schneider, OCEAN EYES, 2024, Buntstift auf Papier, 38 x 29,7 cm
10 „wie ein Marienfaden in der Morgenluft entschwand. Aber die Marienfäden nennt man in Chile auch Teufelsgeifer“, Cortázar, Teufelsgeifer, S. 388.
11 Sarah Lehnerer, 13.05.24 und 03.04.24, Druck-Frottage, Tinte auf Seidenpapier, je 260 x 210 cm
12 Cortázar, Teufelsgeifer, S. 393.